Am anderen Ende der Welt, genauer gesagt in Laos, steckt die Unterhaltungsbranche noch in ihren Kinderschuhen – wenn überhaupt. Filme auf Zelluloid zu bannen, kam hier erst gar nie in Mode. Wer schon einmal einen Film aus dem südostasiatischen Binnenstaat gesehen hat, gilt demnach schon als Exot also unter den cineastischen Weltenbummlern. Ja, gerade einmal ein dutzend Filme wurden in Laos überhaupt erst gedreht. Zwölf Filme. Zum Vergleich: „Razor Charlie“ und „Machete“-Darsteller Danny Trejo wirkte alleine im Vorjahr an mehr Filmen mit als am indochinesischen Festland jemals gedreht wurden. Oder anders gesagt: Eine einzige /slash-Ausgabe würde genügen, um die laotische Filmgeschichte in vollem Umfang zu zelebrieren.
Dass die einst als Männerdomäne etablierte Kunst des Filmemachens in einem Land, in dem gerade einmal ein Drittel der weiblichen Bevölkerung das Lesen erlernt, ausgerechnet von einer Frau angeführt wird, ist umso erstaunlicher. Mattie Do arbeitet das Leben in ihrer Heimat filmisch auf, mit einem Hang zum Diabolischen als Nebenerscheinung der Missstände in ihrem Land. Wie schon in ihrem Regiedebüt („Chanthaly“) ist das Übernatürliche, das uns nicht Bekannte, das Unberechenbare einmal mehr lediglich Mittel zum Zweck, jenem Zweck, dem wahrhaftigen Horror, an dem die Gesellschaft Tag für Tag immer weiter zu zerbrechen scheint, eine Bühne zu geben.
Es ist, als würde sich der Schlund zur Hölle immer ein kleines Stückchen weiter öffnen, wenn die Arm-Reich-Schere droht, noch weiter auseinanderzugehen. Das ländliche Idyll mit seinen Bauernsagen auf der einen Seite, die großstädtische Überheblichkeit mit ihren Katzengesichtern auf Kaffeeschaum auf der anderen – und dazwischen jede Menge Raum, nicht nur den Anschluss, sondern auch die Orientierung, ja, sich selbst zu verlieren. Es sind weniger die Dämonen aus der Unterwelt, die einem das Fürchten lehren, sondern vielmehr der Teufel in uns selbst, der uns von einem Lotto-Märchen träumen lässt, das uns von all unseren Sorgen befreit. Aber Achtung, nicht dass ihr irgendwo zwischen Moral und Sozialneid die falsche Abzweigung nehmt – Karma is a bitch!
Fernab von Jump Scares und Wackelkamera lässt einen „Dearest Sister“ mit seiner Geschichte, einer Fabel von Loyalität, Vertrauen und Gier, von Macht, Moral und gesellschaftlicher Ungleichheit erschauern. Denn es ist nicht das Undenkbare, das vermeintlich Unmögliche, das uns den Boden unter den Füßen wegzieht, sondern das Grauen, dem wir tagtäglich begegnen. Das Grauen, vor dem wir uns verschließen, dem wir scheinbar schutzlos ausgeliefert sind und dem wir unweigerlich nachgeben – ungeachtet der Konsequenzen. Dabei ist es nicht selten der Blinde, der einem erst die Augen öffnet…