Sein Bodycount sprengt den Rahmen des Zählbaren, seine Leinwandpräsenz ist nach über 60 Jahren ungebrochen. Sein Markenzeichen: Ein markerschütternder Schrei, der selbst Janet Leigh hinter dem Duschvorhang verstummen lässt. Er ist der Urvater des Kaiju-Kinos, der Schrecken eines jeden Tokioten, das größte Monster der Filmgeschichte – er ist Godzilla, der in „Shin Godzilla“ zum mittlerweile 30. Mal auf die Leinwand zurückkehrt, um nicht nur Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern standesgemäß auch, um das politische Machtgefüge Japans in Frage zu stellen.
Nachdem Gojiras in seinem letzten (US-amerikanischen) Abenteuer nur ein kurzes war, kehrt das Monster aus der Tiefe nun erneut an seine einstige Wirkungsstätte zurück. Ja, die erwürdigen Tōhō Studios erwecken den schlafenden Riesen einmal mehr und lassen ihn – wie könnte es auch anders sein – auf die japanische Hauptstadt los.
Die jüngste Reinkarnation der Riesenechse ist übrigens nicht nur die größte, die es jemals gab, sondern bringt darüber hinaus auch noch Fähigkeiten mit, die wohl einst die Duelle mit MechaGodzilla, SpaceGodzilla und anderen Monstrositäten drastisch verkürzt hätten. Mancherorts erscheint das jüngste Kaiju-Upgrade nichtsdestotrotz aber immer noch zu harmlos, zu wenig brachial. Also hat man kurzerhand am Kinoposter von „Shin Godzilla“ herumgebastelt – etwa auf den Philippinen, wo man seine Ärmchen auf ein Vielfaches ihrer tatsächlichen Größe aufblasen ließ. Weil’s eben immer noch ein bisschen größer geht, noch ein bisschen fieser, noch ein bisschen furchteinflößender geht.
Während sich Godzilla, wohlgemerkt in neuer Pracht, langsam aber sicher zu jenem Monster entwickelt, dem seine Anhängerschaft ebenso lange huldigt wie ihn seine Widersacher ihn zu vernichten versuchen, ist die Liebe zum Original letzten Endes die Quintessenz von „Shin Godzilla“. In der einen Szene ein fernöstliches Low-fi-Spektakel der extravagantesten Sorte, in der nächsten bildgewaltiges Bombast-Kino in meisterhafter Anime-Ästhetik, stehen politische Debatten nicht weniger im Vordergrund wie der durch die Großstadt stampfende Gigant. Weil die Schlacht um Tokio letztendlich nicht in den Straßen, sondern in den Bürotürmen, nicht von den Soldaten, sondern von den Machthabern entschieden wird. Aber was, wenn eben jenen die Macht zu entgleiten droht?
Während Hollywood an einem MonsterVerse rund um Godzilla, King Kong und Co feilscht, feiert der Urvater des modernen Monsterfilms ausgerechnet in Japan sein eindrucksvolles Comeback. „Shin Godzilla“, der übersetzt nicht nur der neue, sondern auch der echte, der gottgleiche ist, entfernt sich stellenweise frech von seinem Original, vergisst aber keineswegs, wo er herkommt. Im Gegenteil, der 31. Film tut es dem allerersten, dem Ur-Godzilla, gleich und trägt seine Verantwortung als erster Tōhō-zilla in der Post-Fukushima-Ära mit Stolz, mit Freude, vor allem aber mit satirischer Durchschlagskraft.
„Shin Godzilla“ baut auf altbewährte Methodik und eine Handvoll monströser Upgrades und etabliert sich so nicht nur als wertvoller Genrebeitrag, sondern auch als innovatives Reboot, das Traditionen wahrt und dabei keineswegs Neuerungen scheut – ein zeitgemäßer und dennoch waschechter Godzilla-Ableger, dessen einzig wahre Bühne die Kinoleinwand ist.