Er ist bekannt dafür, dem Horror, der in der Welt so vor sich geht, einen abscheulichen Anstrich zu verpassen und die tiefsten Abgründe des Kinos – irgendwo zwischen Sozialkritik und Gewaltexzess – ans Tageslicht zu bringen. Ja, für „Cannibal Holocaust“ wanderte Ruggero Deodato sogar hinter Gitter. Über drei Jahrzehnte später ist der italienische Altmeister in Wien zu Gast. Mit im Gepäck: Sein neuer Film – der erste seit 23 Jahren!
„Ballad in Blood“ – Ja, schon der Titel lässt einen in Kombination mit Deodatos Namen unweigerlich an das Urwald-Massaker denken, mit dem der heute 77-Jährige einst eine Kontroverse lostrat, die ihn sogar ins Gefängnis bringen sollte. Während sein Kannibalen-Schlachtfest „Cannibal Holocaust“ aber auch heute noch als besonders „schwer verdaulich“ gilt, sah sich Deodato Anfang der 80er Jahren sogar mit unsäglichen Anschuldigungen konfrontiert, bei den Dreharbeiten wären sowohl Tiere als auch Menschen getötet worden. Nachdem sich die potentiell ums Leben gekommenen Darsteller als quicklebendig herausstellten, kam der Filmemacher aber auch schon wieder auf freien Fuß. Nicht ganz so glimpflich kam sein Film davon, der bis heute als einer der größten Tabubrüche der Filmgeschichte gilt und nach wie vor in weiten Teilen der Welt verboten ist – zumindest in seiner vollen Länge.
„Nackt und zerfleischt“, wie der monströse Meilenstein des Kannibalen-Kinos hierzulande übersetzt wurde, ist nun mal kein Film, der das Herz berührt. Stattdessen beherrscht Ruggero Deodato viel mehr die Kunst, seinem Publikum das Herz rauszureißen, nur um es ihm wenig später malträtiert und durch den Fleischwolf gedreht wieder in die Brust zu legen. Ja, einen klassischen Deodato vergisst man eben nicht so schnell. Leider ganz im Gegensatz zu den unentbehrlichen Ingredienzien, die seine Werke erst zu dem machen, was sie sind.
Wir wissen nicht, wie verfluchte Dämonen oder durch Wände gehende Geister ticken, wie wir uns vor fleischlüsternen Untoten oder mutierten Mischwesen schützen (unser Know-How beschränkt sich hier auf das, was uns Romero & Co seit Jahrzehnten eintrichtern). Und wir haben Angst vor dem, was wir nicht kennen, vor dem Fremden, dem Unberechenbaren. Wahrhaftiges Grauen entspringt aber gar nicht unserer Phantasie, ganz im Gegenteil. Das, was uns das Blut in den Adern gefrieren lässt, uns nachts wachhält und im Morgen darauf selbst wie Zombies durch den Alltag wandeln lässt, ist echt. Es passiert irgendwo da draußen. Vielleicht nicht dir, vielleicht nicht deinem besten Freund, aber jemandem in der Welt, der dem schutzlos ausgeliefert ist.
Und genau das ist es, was Ruggero Deodato sein Publikum seit Jahrzehnten versucht, spüren zu lassen. Tief vergraben in einem Meer aus Blut und Sex, Gedärmen und Brüsten, ist es die erbarmungslose Gesellschaftskritik, die in Deodatos Œuvre immer wiederkehrt. Vom Älterwerden bis zur Sensationsgeilheit der Medien macht Deodato stets das zum Thema, was nicht nur ihn beschäftigt, sondern ganze Generationen ausmacht.
In den über 50 Jahren als Filmemacher gab es für Deodato kaum ein Genre, an dem er keinen Gefallen fand. So versuchte er sich mit „Off Balance – Der Tod wartet in Venedig“ beispielsweise an einem klassischen Giallo, während „Body Count – Die Mathematik des Schreckens“ eher als Backwoods-Slasher in bester „Freitag der 13.“-Manier in die Horror-Geschichtsbücher einging. Deodato lieferte eine Handvoll bitterböser Genrefilme ab, bevor er in den 90er Jahren ins Fernsehgeschäft zurückkehrte, um etwa mit Bud Spencer „Zwei Engel mit vier Fäusten“ zu drehen. Doch ganz egal woran Antonio Margheritis einstiger Lehrling auch arbeitete, er blieb sich bis zuletzt treu und inspirierte mit seinen Werken Nachkömmlinge wie Quentin Tarantino und Eli Roth. Letzterem wurde im Übrigens die Ehre zu Teil, mit seinem Vorbild zusammen zu arbeiten. In „Hostel 2“ gibt es Ruggero Deodato nämlich in einer kleinen Gastrolle zu sehen – standesgemäß als Kannibale.
Die 70er und 80er Jahre gelten bis heute als Hochzeit in Deodatos Karriere. Er versetzte sein Publikum regelmäßig in Angst und Schrecken, eckte mit gewagten Stoffen an und schockte mit einer schonungslos rohen Inszenierung. Auch im Alter kehrte Deodato dem Filmgeschäft aber nie ganz den Rücken zu, auch wenn er sich nach der Jahrtausendwende ein wenig zurückzog. Ein paar TV-Produktionen, einen Kurzfilm sowie einen Episoden-Horrorfilm später ist 2016 aber nun das Jahr, in dem der Italiener doch noch einmal einen „waschechten Deodato“ von der Leine lässt.
Mit „Ballad in Blood“ schließt er sich also, der Kreis aus Gewalt und Sex, aus dem die alptraumhaften Stoffe Deodatos gemacht sind. Schon die okkult anmutende Eröffnungsszene stimmt ein auf einen desillusionierenden Trip, ebenso freizügig wie blutrünstig, so traditionell wie aktuell. Die Ballade in Blut ist dabei aber vielmehr ein Rave durch die Nacht, der die Smartphone-Generation, ausgestattet mit Deodato’schem Wahnsinn, mit der Abgebrühtheit eines Giallos und einer reißerischen Sozialkritik, die „Cannibal Holocaust“ in nichts nachsteht, gnadenlos übermannt. Ruggero Deodato, bentornata!
Termine
23.09. | 13h: MasterClass mit Ruggero Deodato & Screening von Cannibal Holocaust
25.09. | 22h: Autogrammstunde im Filmcasino
25.09. | 23h: Österreich-Premiere von Ballad In Blood