XX Von unendlicher Mutterliebe und anderen Grausamkeiten

Was ist besser als eine unheilbringende Schauergeschichte? Nun, mehrere unheilbringende Schauergeschichten. „XX“ versammelt aber weder selbstgedrehte VHS-Filmchen zu einer Shaky-Cam-Orgie, noch lädt er zum Buchstabierwettbewerb des Todes. Die jüngste Horror-Anthologie aus dem Hause Magnet Releasing steht vielmehr für emanzipiertes Genrekino, für Tod und Verderben, ganz im Zeichen unendlicher Mutterliebe und ähnlicher Grausamkeiten.

Morbide und doch verspielt, althergebracht und dennoch auf kindliche Weise originell, verzaubert einen der Stop-Motion-Rahmen der vierteiligen Saga, die euch erst den Hunger und kurz darauf auch noch die Partystimmung verdirbt. Etwa mit „The Box“, der Adaption der preisgekrönten Kurzgeschichte von Horror-Urgestein und Alptraum-Garant Jack Ketchum, die nach über 20 Jahren als haartsträubender Kurzfilm wie der Phönix aus der Asche steigt um nicht nur Leseratten, sondern auch Zelluloid-affinen Horrorfreunden auf den Magen zu schlagen. Singer-Songwriter St. Vincent stellt in ihrem Regiedebüt hingegen Schein vor Sein und kehrt lieber die Endlichkeit des Lebens unter den Teppich – zum Wohle aller, versteht sich. Geburtstage sind immerhin zum Feiern da, und nicht zum Sterben.

Roxanne Benjamin, ihrerseits „XX“-Schirmherrin, lieferte bereits in „Southbound“ Episodenhorror, dass sich einem die Zehennägel aufrollten. In ihrem Folgewerk sollte aber nicht nur Abwechslung garantiert werden, sondern auch eine Verneigung vor dem Genre ihren rechtmäßigen Platz finden. Ein schleimig-glibbriges Creature Feature oder doch nur der klassische Haufen junger Leute, den es nach draußen verschlägt, in die Natur, Mutter Erdes unendliche Weiten, um statt Frieden und Freiheit lediglich ein jähes Ende zu finden. Es ist der böse Zwilling des amerikanischen Traums, der die Ideale des Horrorkinos längst für sich beansprucht hat und „XX“ zu mehr als nur einer weiteren Horror-Anthologie macht. Er treibt ein perfides Spiel, mit seinen Marionetten vor der Kamera ebenso wie mit seinem Publikum, gaukelt einem nichts vor und lässt es auch noch nach dem Abspann rätseln.

Ja, schlussendlich ist „XX“ vor allem eines: Ein Lebenszeichen emanzipierter Filmemacherei, die den fantastischen Film noch ein bisschen frischer, ein bisschen ungewöhnlicher und ja, zweifelsohne auch ein bisschen fantastischer macht. Nach Ana Lily Amirpours „A Girl Walks Home Alone at Night“ und Jennifer Kents „Der Babadook“ senden Roxanne Benjamin, Karyn Kusama, St. Vincent und Jovanka Vuckovic mit ihrem kleinen Horror-Sammelsurium eine Botschaft aus, die in Vergessenheit zu geraten schien. Weiblichkeit in Horrorfilmen bedeutet längst nicht bloß, sich vor der Kamera zu räkeln, kreischend vor dem Boogeyman zu fliehen oder sich von testosterongesteuerten Helden retten zu lassen. Mit „XX“ nehmen die vier Femme Fatales – als Autorinnen, Produzentinnen und Regisseurinnen – das Ruder deswegen selbst in die Hand, um vier schaurig-schöne, gynozentrische Geschichten auf ebenso originelle wie mannigfaltige Art und Weise zu erzählen – portioniert in vier kleine, schnell verzehrte, aber schwer verdauliche Häppchen.

Tickets für 4.5., 23:00 Filmcasino

 

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